(Aus Factum, Schweiz, April 2012)
Von UWE SIEMON-NETTO
Der Name des Teufels leitet sich bekanntlich vom griechischen Wort Diabolos
ab, zu Deutsch: der Durcheinanderwerfer.
Es liegt in der Natur Satans, dass er eine gute Sache ins Gegenteil
umzukehren trachtet, zum Beispiel den Friedenswunsch. Dieser Wunsch lässt sich,
der Leser verzeihe mir das kesse Wortspiel, auch „auf Teufel komm’ ‚raus“ stillen,
nicht weil die Welt dadurch besser würde, sondern weil Wahlkampf ist und das
Stimmvolk einen kostspieligen Waffengang nicht mehr mag. Dann wird nach einer „Auswegsstrategie“
gesucht, wird ein „ehrenhafter Friede“ angestrebt, wird heimlich mit dem Gegner
verhandelt, so als gelte es, zu entscheiden, ob ein Hohenzollernkönig oder
eine Habsburgerkaiserin fortan über Schlesien herrschen werde.
Aber so harmlos wie zu Zeiten Friedrichs des Grossen und Maria Theresias
ist das nicht mehr. Heute hat es der Westen mit Feinden zu tun, die sich in der
zynischen Gewissheit wiegen, dass Demokratien „psychologisch und politisch
nicht in der Lage sind, einen sich
lange hinziehenden Krieg zu führen“, wie der nordvietnamesische
Verteidigungsminister Vo Nguyen Giap es vor einem halben Jahrhundert
formulierte. Die Feinde der Freiheit und der Menschenrechte haben Geduld,
Demokraten haben es nicht. Wenn sich kein eindeutiger Sieg in einem annehmbaren
Zeitraum abzeichnet, sind Demokraten zu fast jedem Kompromiss bereit, und sei
er noch so beschämend. Das sage nicht ich; das sagte Giap, der kommunistische
Meisterstratege von Hanoi. Aber ich habe vor 40 Jahren als
Kriegsberichterstatter in Indochina miterlebt, dass Giap uns richtig einschätzte.
Und in Afghanistan erleben wir’s jetzt wieder. In den USA und Europa fordern
Mehrheiten den Truppenabzug, egal, was danach geschieht, nämlich, dass dann die
Hölle los sein wird.
Die Hölle? Nun ja, dies im wörtlichen Sinne zu behaupten, wäre
untheologisch. Also sagen wir: Vorhölle. Oder wie sonst wäre dieser Zustand zu
beschreiben: Alle Frauen und Mädchen werden unter Hausarrest gestellt und dürfen
das Haus nur von Kopf bis Fuss verhüllt in Gesellschaft eines männlichen
Verwandten verlassen. Wenn unter ihrer Burka Millimeter ihrer Fesseln
aufblitzen oder ihre Schuhe quietschen, droht ihnen die Prügelstrafe. Sie dürfen
nicht lesen und schreiben, keine Geographie, Geschichte oder Mathematik lernen und keinen Beruf ausüben. Sie müssen
in verdunkelten Räumen leben und wegen des Mangels an Sonnenlicht unter Hautkrankheiten leiden. Sie sind
unterernährt und werden unzureichend oder überhaupt nicht medizinisch versorgt,
weil Ärztinnen nicht mehr praktizieren und männliche Ärzte keine Frauen anrühren
dürfen. Wenn sie mit einem anderen Mann als ihrem eigenen Verkehr haben – und
sei’s unter Zwang – werden sie gehenkt oder zu Tode gesteinigt; Homosexuelle
werden lebendig begraben.
Entstammt dies meiner kranken Phantasie? Keineswegs. So war’s vor 15 Jahren
unter den radikalmoslemischen Taliban bevor sie vor einem Jahrzehnt verjagt
wurden. Jetzt bereiten sie sich – der Einsichten des Nordvietnamesen Giap
eingedenk – geduldig darauf vor, nach dem Abzug der Amerikaner, der Briten, der
Deutschen, Franzosen und der anderen NATO-Mitglieder ihr Terrorregime in Kabul
wiederaufzunehmen. Nichts gibt zu der Annahme Anlass, dass sie milder vorgehen
werden, wenn sich der Westen aus Afghanistan gestohlen hat und seine Truppen
mit Sicherheit nicht zurückkommen werden.
Woher habe ich meine Kenntnisse? Sehen Sie, das ist faszinierend. Ich entnahm
sie einem 15 Jahre alten Bericht auf der Webseite von „NOW“– der grössten
amerikanischen Frauenorganisation, die sich damals noch um das Los ihrer
Schwestern am Hindukusch sorgte, was heute ihr und anderen Feministenverbänden
längst nicht mehr in den Sinn kommt. In ihrem abstossenden Narzissmus
verschwenden sie keinen Gedanken auf die diabolischen Perspektiven jener wehrlosen Geschöpfe. Auch sie haben den
Wahlkampf vor Augen. Sie agitieren dafür, dass in Washington jene Partei an der
Macht bleibt, die nicht an ihrem „Recht“
rüttelt, ihre eigene Leibesfrucht zu töten, so wie dies seit der Freigabe der
Abtreibung in den USA vor fast 40 Jahren 56 Millionen mal geschehen ist. Hier
sei noch einmal der Leibhaftige erwähnt, und zwar mit einem Lutherwort: „Der
Teufel ist aller Kinder Feind und sieht ungern, dass sie zur Welt kommen.“
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